Meine Oma geht auf die 90 zu. 90 Jahre, das ist eine lange Zeit und sie ist geprägt von vielen Umschwüngen und Erlebnissen, die nicht alle leicht sind. Besonders bei ihr nicht, die Kriege und Flucht erlebt hat, ihren Mann früh verlor und vieles mehr durchgemacht hat. Trotzdem lebt sie in diesem Alter recht ruhig in ihrer kleinen Wohnung. Wenn wir sie besuchen, sieht sie aus dem Fenster und freut sich über die Sonne. Sie schaut Fernsehsendungen über die gängigen Zoos in Deutschland und empfindet mit den Tieren mit, die gezeigt werden. Die fast 90 Jahre haben sie nicht entmündigt, aber sie lebt auf einem naiveren Niveau, auf dem es auch einfach ist, sich über das Einfache zu freuen.
Sie fragt mich immer wieder, was ich studiere und wo, was ich danach mache. Dabei schaut sie mich jedes Mal halb interessiert, halb unwissend verwirrt an, ihre Augen sind überrahmt mit blau nachgezeichneten Augenbrauen. Als ich meine Mutter nach dem Grund gefragt habe, hat sie mir gesagt, Oma wollte etwas Farbe in ihr Gesicht bringen. Farbe in die grauer werdende Welt, wo die Farben verblassen, wo die Tage rückwärts gezählt werden.
Ich habe mich gefragt, wie es ist, als alter Mensch auf seinen Tod hin zu leben. Erwartet man ihn freudig oder mit Angst oder lebt man wie immer, weil man ja sonst auch nicht auf unangenehme Dinge zulebt? Die Gewissheit in diesem Alter bald zu sterben ist so gewiss, da muss doch das Bedürfnis nach Gewissheit von dem, was danach kommt, auch immens groß sein. Oder nicht?
Während ich bei meiner Familie zu Besuch war, hat meine Mutter mir von einer Predigt erzählt. In der Gemeinde, in der sie gehalten wurde, hatte es vor Kurzem Todesfälle – wohl unerwartet – gegeben. Das hatte Anlass zu einer Welle der Liebe gegeben. Quintessenz war, dass du und ich – wir Geschenke sind, welche sich an unsere Familien, Freunde, Mitmenschen im Allgemeinen verschenken dürfen. Diese Liebesgeschenke werden immer weiter gegeben, wenn erst mal einer angesteckt ist. Das wünsche ich mir auch für euer und mein Leben! Dass ich die Zeit nutze, in der ich mit Menschen zu tun habe, die noch in diesem Leben anwesend sind.
Ein großer Teil unseres Lebenssinns steckt doch letztendlich darin, Jesu Geschenk an uns zum Anlass zu nehmen, diese Liebe weiter zu geben. Und es ist ja bekannt, dass Jesus diese Liebe so großzügig ausgeteilt hat, ohne auf Gegenvorschuss oder Erwiderung zu bestehen. Zu der Liebe gehört vieles, und nicht zuletzt, für Andere zu beten. Dann hilft nicht nur der Mensch, sondern auch Gott persönlich!